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Weihnachten

  • Autorenbild: Astrid Sommer
    Astrid Sommer
  • vor 1 Stunde
  • 5 Min. Lesezeit

Und dann ist es heute klirrend kalt, manche Jahre war es sogar wieder frühlingswarm, dieses Jahr weht der Ostwind seit letzter Nacht allerdings eisig um die Häuser, die nunmehr schneebedeckt wie schlafestrunken still und schweigend in ihren Vorgärten ausharren. Letzteres ist in Teilen für die hiesige Region etwas untertrieben, ich möchte die großen alten Bäume, naturgeschützt, der villenstarken Flächen vor meiner Haustür nicht unerwähnt lassen. Mein Hund und ich, wir gleiten auf Eisflächen durch die stille Zeit des heutigen Tages, endlich, still ist es, etwas Schneedecke liegt sogar im nahen Wald über einer zarten winterlichen Landschaft, ein wenig knirschende Geräusche kann ich durch jeden einzelnen Schritt erzeugen.

Weihnachtsromantik. Jetzt gerade.

Glitzerschmuck, Weihnachtslieder, möglicherweise das eine oder andere Gebäckstück frisch aus dem Ofen, vielleicht erinnern Zimt und Koriander an Zeiten und Gerüche von woandersher.

Während wir zusammen gehen, der treue schwarze Begleiter und ich, setzt Erinnerung ein.

Und auch die Frage, was ist Weihnachten dieses Jahr für mich.

Was IST Weihnachten.

Ich gehe, dabei lässt sich gut spüren.


Meine Skier habe ich vor 2 Tagen wieder abgeschnallt, den eisigen Berg im Allgäu beinah erniedrigt vom Klimawandel wieder hinabgetragen, ich mag den Kunstschnee nicht. Er kann für einen Tourengeher oder eine Tourengeherin tatsächlich etwas Desillusionierendes haben. Es fehlt die fluffige Scheedecke, die Freude des gedankenlosen Hineinschwingens, der Abfahrt, der Leichtigkeit und des Glücks, wenn ein Drehmoment dem nächsten völlig unüberlegt automatisiert erfolgt.


Heute ist also Hl Abend.

Erst vorgestern habe ich zielsicher noch das letzte fehlende Papierstück in der bayerischen Hauptstadt erstanden, beim Kauf bekam ich es extra in lilafarbiges Seidenpapier zusätzlich eingepackt.


Mein Blick kommt den Menschen am Boden nicht aus. Matrazenlager, unterschiedlich aufgemachte, in Teilen unterschiedlich kunstvoll oder schlickt puristisch platzierten Spendentellern, ein Husky wird an einer Leine eng gehalten, der Besitzer hat einen beschrifteten Karton aufgestellt.

Almosen vor Weihnachten. Versus Kaufrausch? Oder Seidenpapier? Ich frage mich, was ist passiert, wieso liegt ihr hier? Frierend, übersehen? Habt Ihr Euch selbst vergessen? Wie läuft das Leben, um die Tage vor den Feiertagen auf Matrazen inmitten von kauflustigen und nicht immer gut gelaunten Menschenmassen zu verbringen.

Und natürlich kommt mir sofort die rumänische junge Schwangere in den Kopf, die am Stachus ebenso auf Matrazen unter einer Decke liegt, ich gab ihr meine Telefonnummer, gemeldet hat sie sich nie.

Weihnachten und natürlich vorher Hl. Abend.

Maria und Josef.


Ich mag den Kommerz nicht. Und während ich gehe, stelle ich mir wie jedes Jahr die Frage, was befriedigt mich heute tatsächlich. Habe ich überhaupt Hunger? Also so richtig Hunger? Auf all das, was die gezielten Vorbereitungen meines Kühlschrankes hergeben?

Im Moment geniesse ich die Stille des Gehens. Mein Hund freut sich. Er kommt vor die Tür. Seit ein paar Tagen wittert er schwanzwedelnd tatsächlich sein Weihnachtspräsent, hundefreundlich verpackt, inmitten all der anderen Geschenke, für die Kinder, für meinen Mann.

Schenken ist für mich also Freude.

Oder vielmehr bewußtes Schenken. Das erzeugt dann die Freude, die ohne Erwartung und künstlicher Verpflichtung aufgeladen unter einem wie auch immer geschmückten Weihnachtsbaum wartet.

Ich mag das gemeinsame Kochen. Mein lieber und seit Jahren krebskranker Freund, mein bester Freund, wird dieses Jahr leider nicht mit uns kochen. Er verbringt diesen Hl Abend mit seiner Frau und ihren Geschwistern in der Nähe von Berlin. Ich verstehe das. Dennoch vermisse ich dieses Jahr die Vorfreude, auf genau den Moment, an dem es an der Tür klingelt, und er mit voll beladenem Rucksack strahlend davor steht. Wir senden uns dazwischen Falkengrüße, die so hoch in den Himmel aufsteigen, dass nur die grelle Sonne den Steilflug in der Betrachtung verhindern kann, so groß ist die Freude bei jedem Wiedersehen.


Und während also die zarte Schneedecke unter meinen Füßen knirscht, obwohl etwas zögerlich, stelle ich mir eben die diesjährige Frage, was freut mich dieses Jahr an Weihnachten tatsächlich.

Und wie fühlt es sich an, so satt vor dem leckeren Essen? Und satt mit allem, was ich doch nicht wirklich brauche?

Fragen über Fragen.


Und dann erreicht mich der Anruf eines anderen Freundes.

Ich habe größten sprachlichen Respekt vor ihm, er ist ein wahres Wortgenie. Er wird diesen hl Abend alleine zufrieden, wie er sagt, in seinem Zuhause verbringen. Die Kinder sah er gestern in Nürnberg.

Meine Einladung ist ausgesprochen, samt einem feliz navidad.

Ich glaube, ich verstehe, keiner sollte heute unfreiwillig alleine sein. Zumindest wissen, er oder sie sind eingeladen.

Und ich erinnere mich an Jahre aus meinem früheren Leben, damals, bevor ich einen eigenen Weihnachtsbaum in meinem Wohnzimmer stehen hatte und der Dezemberdienstplan längst vorgesehen hatte, wer Früh, Spät oder Nachtdienst an diesen Weihnachtstagen absolvieren darf, während die Beatmungsmaschinen Leben verlängerten, manchmal auch unfreiwillig. Und ich dennoch das tiefe Gefühl von Weihnachten sinnhaft in mir trug, Zeit mit all denen zu verbringen, an die sonst vielleicht niemand mehr denkt, die vielleicht vergessen wurden, deren Zeit bereits knapp am Ablaufen war.

Im Grunde mag ich es nicht, Dinge zu tun, nur weil alle sie tun, weil es zu bestimmten Tagen wie auch immer zu sein hat.

Weil ich selbst entscheiden will, wann ich etwas möchte, oder für jemanden etwas gerne machen möchte.

Ohne Erwartung, freiwillig. Und vielleicht sogar so eine Art Stall anbieten kann, was ich mir nach eigener Überprüfung eines etwaigen Helfersyndroms definiert freundlich aus anderer Überzeugung für Sinnhaftes unabhängig attestieren kann, ja, es ist gut, niemand sollte heute alleine sein, wer nicht wirklich alleine sein möchte.

Und ja, ich mag diese künstliche Gedöns von Weihnachten so gar nicht, Dinge, die mir einfach nicht liegen oder meiner eigenen Überzeugung nicht entsprechen zu tun.

Und dann steht meine Tochter Clara in der Küche und zaubert wohlriechende Schokotörtchen, nachdem die beiden anderen Kinder die wenigen restlichen Plätzchen bereits aufgefuttert haben.


Ich komme also zum Schluss, mein Weihnachten ist freiwillig. Ich könnte es dieses Jahr auch gerne aus Überzeugung unter der Wittelsbacher Brücke mit mir fremden Menschen verbringen, vielleicht würden sie sich freuen, über ein wenig Glühpunsch und ein paar Schokotörtchen. Und ja, ich bin dankbar, dass ich sogar meinem treuen schwarzen Begleiter Hundeleckerlis eingetütet habe. Und sehe ein, es ist Freude, um die es geht, um die es mir geht, die ich teilen möchte. Für ein echtes Miteinander, frei von Zwang, dass wieder viel geschafft ist, dass ich die Geschenke zum Freuen verschenke. Und dass ich mich freue, wenn sich andere freuen.

Oder, dass es schön ist, wenn das glitzernden Schwarzwaldmädchen am Weihnachtsbaum hängt, während Clara Klavier spielt und der Holzofen brennt und knisternde Geräusche von sich gibt.


Es ist nun mittlerweile schon fast dunkel geworden.

Ich höre die ersten Kirchenglocken läuten. Sie laden zur Kindermesse ein.


Es ist bald Hl Abend.

Während also Maria und Josef noch den passenden Stall suchen.

Ich denke an alle, irgendwo da draußen und ich wünsche allen Frohe Weihnachten.

Damit sich keiner alleine fühlt, der heute nicht alleine sein mag.

Damit alle Kinder fröhliche Augen machen dürfen.

Damit allen gedient ist, ganz gleich, was das Jahr für sie gebracht hat.

Damit wir alle dankbar sein können, über das, was ist.

Mit einer gegenwärtig sanften Schneeschickt überdeckt.

Mit dem Zauber von Weihnachten versehen, einander bald zu umarmen.

Und dann zu sagen

Frohe Weihnachten.




 
 
 

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